Die Edda - Ursprung, Inhalt und Bedeutung der wichtigsten Quellen zur nordischen Mythologie
Die Edda gehört zu den bedeutendsten Schriftwerken des mittelalterlichen Nordens und bildet heute die zentrale Grundlage für unser Wissen über die nordische Mythologie, die Götterwelt der Wikinger und viele ihrer kulturellen Vorstellungen. Sie entstand zwar erst im 13. Jahrhundert – also nach dem Ende der eigentlichen Wikingerzeit –, basiert aber auf viel älterem mündlichen Erzählgut, das über Jahrhunderte von Skalden weitergegeben wurde. Die Edda ist damit ein einzigartiges Fenster in die Welt der Wikinger, ihre Mythen, Heldenlieder und kosmologischen Vorstellungen.
Was ist die Edda? Ein Überblick
Unter dem Begriff „Edda“ versteht man zwei voneinander unabhängige, aber eng miteinander verbundene Werke:
- Die Lieder-Edda (Ältere Edda)
Eine Sammlung von anonymen Gedichten, die ursprünglich mündlich überliefert wurden. Sie umfasst Götterlieder, Heldenlieder und Weisheitsdichtungen. - Die Snorra-Edda (Jüngere Edda)
Ein Prosawerk des isländischen Gelehrten Snorri Sturluson. Es enthält Mythen, Erklärungen zur Dichtkunst und eine systematische Darstellung der nordischen Götterwelt.
Beide Werke ergänzen sich und sind unverzichtbar, um die religiösen und kulturellen Vorstellungen der Wikinger zu verstehen.
Die Lieder-Edda: Die Stimme der alten Skalden
Die Lieder-Edda besteht aus rund 30 Gedichten, die zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert schriftlich fixiert wurden. Sie ist in zwei große Bereiche unterteilt:
1. Götterlieder
Diese Texte befassen sich mit den nordischen Göttern, ihren Abenteuern und Konflikten. Zu den bekanntesten zählen:
- Völuspá (Die Weissagung der Seherin): Die wichtigste Quelle über die Entstehung und das Ende der Welt. Die Völva berichtet von der Schöpfung, dem Weltenbaum Yggdrasil und „Ragnarök“, dem Untergang der Götter.
- Hávamál (Die Worte des Hohen): Eine Sammlung von Sprüchen und Lebensweisheiten, die Odin zugeschrieben werden. Der Text enthält moralische Ratschläge, Verhaltensregeln und magische Runenlieder.
- Lokasenna: Ein Streitgespräch, in dem Loki die Götter verspottet und beschimpft. Es zeigt humorvolle, aber auch kritische Seiten der Götterwelt.
- Thrymskvida: Eine komische Erzählung, in der Thor seinen gestohlenen Hammer Mjölnir in einer Verkleidung zurückholen muss.
Diese Gedichte zeigen, dass die Götter der Wikinger nicht allmächtig oder unfehlbar waren. Sie hatten menschliche Schwächen, Rivalitäten und klare Aufgaben.
2. Heldenlieder
Der zweite Teil der Edda enthält epische Dichtungen über legendäre Helden wie Sigurd den Drachenkämpfer, Brynhild oder die Völsungen. Diese Geschichten sind älter als viele Götterlieder und verbinden skandinavische Tradition mit germanischer Heldendichtung.
Die Snorra-Edda: Lehrbuch der Mythologie und Dichtkunst
Die Snorra-Edda wurde um 1220 von Snorri Sturluson verfasst. Sie besteht aus mehreren Teilen:
Gylfaginning (Die Täuschung des Gylfi)
Der mythische Rahmen erzählt von König Gylfi, der sich zum Götterhimmel begibt, um die Weisheit der Asen zu ergründen. Snorri nutzt diese Erzählung, um systematisch die Götterwelt darzustellen: Odin, Thor, Loki, Frigg, Freyja, Heimdall, Baldr und viele weitere.
Die Gylfaginning beschreibt:
- Die Entstehung der Welt aus dem Eis des Nordens und dem Feuer des Südens
- Die Erschaffung der ersten Menschen Ask und Embla
- Die Struktur des Kosmos mit seinen neun Welten
- Die wichtigsten Mythen, darunter Baldrs Tod und der Weg zu Ragnarök
Skáldskaparmál (Die Sprache der Skalden)
Dieser Teil erklärt die poetische Sprache der Skalden und liefert zahlreiche Mythen, die als Hintergrund für Kenningar (bildhafte Umschreibungen) dienten. Viele Geschichten, etwa Thors Kampf mit der Midgardschlange, wären ohne Snorris Erklärungen heute kaum verständlich.
Háttatal (Die Verslehren)
Ein metrischer Katalog, der die Regeln der altisländischen Dichtkunst beschreibt. Für die Mythologie ist er weniger bedeutend, aber er zeigt Snorris Ziel: den Skalden der Zeit ein Lehrbuch an die Hand zu geben.
Bedeutung der Edda für die Wikingerforschung
Obwohl die Edda erst nach der Wikingerzeit niedergeschrieben wurde, gilt sie als wichtigste Quelle für:
- die Götterwelt der Wikinger
- ihre Vorstellungen von Schöpfung und Weltende
- ihre moralischen Werte (Ehre, Mut, Gastfreundschaft, Schicksal)
- ihre Dichtung und mündliche Erzähltradition
- ihre Rituale und religiösen Praktiken
Ohne die Edda wären viele zentrale Mythen – von Odin und Thor bis Ragnarök – verloren.
Die Edda als kulturelles Erbe
Die Edda beeinflusst bis heute Literatur, Popkultur und modernes Verständnis nordischer Mythologie. Sie verbindet Poesie, Weisheit und religiöse Vorstellungen zu einem einmaligen Werk, das tief in die Seele der nordischen Welt blicken lässt.
